München – Viele Händler in Deutschland haben sich öffentlichkeitswirksam von der kostenlosen Plastiktüte verabschiedet. Doch die Plastikflut im Handel ist längst nicht gestoppt. Ob bei Obst und Gemüse, Snacks, Kosmetik oder Spielzeug – beim Einkauf kommt man um Kunststoffverpackungen kaum herum.

Die Probleme für die Umwelt wachsen mit dem Müllberg – von Plastikpartikeln in der Nahrungskette bis zur Vermüllung der Meere. Die Verbraucherzentrale Hamburg prangert schon länger einen überflüssigen oder übertriebenen Einsatz von Plastikverpackungen an. Unter dem Stichwort «alltäglicher Plastik-Wahnsinn» listet sie Produkte wie Pralinen-Boxen, portionierte Ananas in der Plastikdose und Käse in der Einweg-Servierbox auf.

«Wenn 80 Gramm Schinken 21 Gramm Plastikabfall verursachen, ist das absurd», sagt Experte Armin Valet. Die Hersteller oder den Handel alleine kann man für solche Auswüchse aber nicht verantwortlich machen. Veränderte Verzehr- und Lebensgewohnheiten der Konsumenten schlagen sich eben auch auf das Kaufverhalten nieder.

Weil mehr Menschen – und vor allem auch Frauen – berufstätig sind, werden weniger Mahlzeiten zu Hause zubereitet. Statt Obst und Gemüse am Stück zu kaufen und aufzuschneiden oder Stullen zu schmieren, sind «Convenience» und «To Go» angesagt – also Fertiggerichte, Snacks und Getränke, die ohne großen Arbeitsaufwand aufgetischt oder schnell beim Bäcker gekauft werden können. Sandwiches oder Sushi in der Plastikbox, der Kaffee zum Mitnehmen und nicht zuletzt das bequeme, aber oft verpackungsintensive Online-Shopping haben Hochkonjunktur – und der Handel bedient diese Bedürfnisse. «Da müssen sich die Verbraucher auch an die eigene Nase fassen», sagt Valet.

Der Lebensmittelhandel verweist auch auf die gestiegene Zahl von Single- und Seniorenhaushalten in Deutschland. Sie verbrauchen kleinere Mengen, das bedeute auch im Verhältnis mehr Verpackungsmaterial. Wer das kritisch sieht, finde mittlerweile in vielen größeren Städten ja auch schon Supermärkte, die unverpackte Lebensmittel anbieten – ob in Kiel oder Dresden, Passau oder Mainz.

Dazu gehört beispielsweise der Supermarkt Ohne in München. Seit einem halben Jahr können die Kunden dort lose Lebensmittel aus Spendern, Theken und Auslagen in mitgebrachte Behälter, Beutel und Taschen füllen und kaufen. Mit der Resonanz ist Geschäftsführerin Hannah Sartin, die auch privat einen möglichst restmüllfreien Lebensstil pflegt, bisher sehr zufrieden. «Wir haben viele Stammkunden», sagt sie.

Von dem Konzept fühlten sich bei weitem nicht nur klassische «Ökos», sondern eine breite Zielgruppe angesprochen – vom Studenten bis zur Seniorin. Ein bisschen umstellen müsse man sich schon und am besten immer einen Korb oder Stoffbeutel mit sauberen Gefäßen bereithalten, um verpackungsfrei einzukaufen, räumt Sartin ein. Durch positive Rückmeldungen der Kunden und das Interesse aus der Branche sieht sie sich aber bestärkt und geht davon aus, dass diese Konsumform künftig noch mehr Anhänger findet.

Müllvermeidung hat in der Tat viele Facetten. Ein paar Zahlen zur Veranschaulichung: Im Jahr 2012 brachte alleine der Außer-Haus-Konsum von Heiß- und Kaltgetränken in Einwegbechern samt Zubehör wie Deckel und Plastiklöffel rund 106 000 Tonnen Abfall hervor, wie Umweltbundesamt-Experte Gerhard Kotschik sagt. Das ist mehr als drei Mal so viel wie im Jahr 2000. Insgesamt lag das Verpackungsaufkommen in Deutschland 2013 bei mehr als 17 Millionen Tonnen, das waren gut drei Prozent mehr als im Vorjahr. Kunststoffverpackungen machten davon fast 3 Millionen Tonnen aus.

Natürlich bedeute dieser Anstieg mehr Kosten für die Entsorgung und einen höheren Rohstoffverbrauch, sagt Kotschik. «Die Verpackung selbst hat aber oft einen wesentlich kleineren ökologischen Rucksack, als das verpackte Produkt», gibt er zu bedenken. Das fängt schon bei Obst und Gemüse an, die ausgesät, in Gewächshäusern gedüngt und gewässert und anschließend aufwendig transportiert werden müssten. «Wenn solche Lebensmittel wegen des Verzichts auf Verpackungen häufiger kaputtgehen, hat man am falschen Ende gespart. Wichtig ist deshalb neben der Vermeidung von unnötigen Verpackungen auch die Wahl saisonaler und regionaler Produkte und der sorgsame Umgang mit Lebensmitteln», sagt Kotschik.

Auch die Politik arbeitet an dem Thema. Mit einem neuen Verpackungsgesetz will das Umweltministerium unter anderem höhere Recyclingquoten für Verpackungen erreichen, die in den dualen Systemen lizenziert und erfasst werden. Die Reaktionen aus der Industrie auf den Gesetzesentwurf sind bisher gemischt. Bisher jedenfalls gelangt nach Angaben des NABU nur etwa ein Drittel aller Kunststoffverpackungen ins Recycling – der Rest wird verbrannt.

Fotocredits: Arno Burgi
(dpa)

(dpa)